781 Es gibt Dinge in Japan, die fallen einem zunächst nicht auf. Sie sind unscheinbar, gefühlt überall und werden im Allgemeinen einfach für gegeben hingenommen. Der Konbini – der kleine, oft 24 Stunden am Tag geöffnete und etwas überteuerte Mini-Supermarkt an der Straßenecke – ist so eine Institution. Er hat aber in ausländischen Medien und auch bei Besuchern im Land den Ruf etwas typisch japanisches zu sein, das man bei jeder Reise einfach mitgemacht haben muss. Ehrlich gesagt ist es auch nicht so einfach auf einer Japanreise keinen Konbini zu besuchen. Obwohl das Franchise-System Konbini in seiner jetzigen Form in Japan perfektioniert wurde, war aber etwa Marktführer 7-Eleven ein amerikanisches Unternehmen. Für jemanden der mit den bayerischen Ladenöffnungszeiten aufgewachsen ist strahlen Geschäfte, die länger als von 8:00 – 20:00 Uhr geöffnet haben, jedoch ohnehin immer eine etwas mystische Aura aus. Eine ähnlich Institution, jedoch viel subtiler, sind die Gyudon-Ketten. Gyudon, das ist eine Schale Reis mit etwas labbrigem Rindfleisch und Zwiebeln. Meine erste Begegnung damit hatte ich auf meiner allerersten Japanreise im Flugzeug. Es war so unscheinbar, dass ich nicht einmal davon ausgegangen bin, dieses Gericht hätte einen eigenen Namen. Vom Geschmack her war es auf jeden Fall nicht herausragend – aber es war auch Flugzeugnahrung. Reis mit Beilage halt. Aber doch irgendwie ganz lecker im Rahmen der Möglichkeiten der Economy-Class. Mein erstes Gyudon. Meine zweite Begegnung mit diesem Gericht war in einem Lokal in Kyoto nach einem geselligen Abend mit anderen Studenten. Bis dorthin vergingen viele Wochen in denen ich weder von Gyudon gehört habe, noch es als irgendwie erstrebenswert wahrgenommen habe. „Hey, dort drüben gibt’s super-günstiges Zeug zum Essen, das kann ich nur empfehlen“. Statt den Burger für einen Euro schaufelten wir also als Kater-Snack etwas Reis mit Fleisch für 3 Euro in uns hinein. Der Nakau in Kyoto, wo ich zum ersten Mal richtiges Gyudon bekam. Der Weg zur Erkenntnis zog sich jedoch noch einige Wochen hin: ich bin damals im Nakau なか卯 gelandet, einer der unzähligen konkurrierenden Ketten für billige Reisgerichte. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen: diese Läden sind überall. Yoshinoya 吉野家, Sukiya すき屋, Matsuya 松屋 und eben Nakau. Kaum ein Straßenzug in einer größeren Stadt in dem man nicht mit Gyudon versorgt wird. Und wie: eigentlich alle Läden hatten damals 24 Stunden am Tag geöffnet – schlechte Arbeitsbedingungen und eine schrumpfende Anzahl an Erwerbstätigen haben in den letzten Jahren aber dazu geführt, dass immer mehr Läden, etwa die Hälfte aller Geschäfte von Sukiya, keinen Dauerbetrieb mehr gewährleisten konnten. Nach einer Phase der Erneuerung ist man jetzt jedoch wieder bei einer Quote von 80% der Geschäfte angelangt, die durchgehend geöffnet haben. Dennoch: die Diskussion quer durch die Industrie ist noch lange nicht beendet. Die schwindende Anzahl der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter sowieso nicht. Andernorts experimentiert man deshalb bereits mit automatischen und unbesetzten Kassen in den Nachtstunden. Sayaka Muratas „Konbini-Mensch„, den sie in ihrem mit dem Akutagawa-Preis gekröntem Werk beschreibt, so scheint es, verliert sein Refugium und wird zum „Konbini-Roboter“. Eine Schale Gyudon von Nakau. „Nakau de gohan o tabeyo!“ Wie tief Gyudon gesellschaftlich verwurzelt ist, merkt man daran, dass der Preis für eine Schale der Standardgröße als Indikator für den wirtschaftlichen Zustand Japans gilt. Was in den USA der BigMac ist, ist in Japan die Schale Gyudon. Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass nach einer Phase destruktiver Preiskämpfe die Preiserhöhung für eine Schüssel in den nationalen Nachrichten landet. Gyudon, so scheint es, ist in aller Munde. Aber zurück zu meiner Geschichte. Nachdem ich realisiert habe, dass es an jeder Ecke einen Gyudon-Laden gibt, gab es kein Halten mehr. Jeder Abend in der Stadt und viele Mittagspausen in der Universität wurden fortan mit einer Schale Reis mit Rindfleisch noch etwas besser. Und was anfangs unscheinbar und wenig beeindruckend war, wird, je mehr man es isst, wortwörtlich zum täglich Brot. Gyudon ist nicht nur billig, sondern auch lecker. Ob man der Werbung folgt und es für gesund befindet, ist die andere Sache. Im Kern hat man Kohlenhydrate mit Reis und eine Kalorienbombe. Es folgte was folgen musste: die Suche nach der besten Kette. Ein tabekurabe 食べ比べ – essen und vergleichen – aller Ketten die ich finden konnte. Hier scheiden sich die Geister, denn jedes Gyudon ist ein wenig anders. Mein persönlicher Favorit war immer Nakau. Groß war die Aufregung, als die Firma 2014 bekannt gab, Gyudon von der Karte zu streichen, denn eigentlich ist man auf Udon im Kyoto-Stil spezialisiert. Das Gyudon dort enthielt immer etwas mehr, etwa Nudeln aus Konnyaku – eine gelatineartige Masse aus irgendwelchen Knollen. Nach der Wiedereinführung ist etwas Tofu dabei. Heute sind es Lauchzwiebeln. Matsuya war die Wahl wenn das Geld knapp war, hier bekommt man kostenlos eine Miso-Suppe dazu. Sukiya bot das beste Gesamtangebot mit interessanten Variationen wie das 3-Käse-Gyudon. Und Yoshinoya – der Favorit viele Japaner – war mir vor allem zu fettig. Hin und wieder sieht man auch kleine, unabhängige Läden, aber diese sind zumindest in der Gyudon-Welt ziemlich selten. Geschmacklich hat wahrscheinlich hat jeder seine Vorlieben. 3-Käse-Gyudon bei Sukiya. Fraglich bleibt, ob man es wirklich Käse nennen kann. Ist aber lecker. Schlussendlich ist so gut wie jede Gyudon-Schüssel verbunden mit ein paar Erinnerungen: die Pause, damals bei der Biwa-See Umrundung mit dem Rad. Die schnelle Schüssel nach der Karaoke-Bar. Das erste japanische Essen von Freunden, die zu Besuch kamen. Diese eine Nacht Bar-Hopping. Fast jeder Besuch in einer Gyudon-Kette erzählt eine Geschichte die über das Essen hinaus geht. Auch deshalb gehört zu jedem Besuch in Japan heute auch immer ein Besuch in einer der Ketten – am liebsten natürlich Nakau. Übrigens: Ob Curry-Reis, gebratener Lachs zum Frühstück, Oyako-Don, Karaage oder Udon – jede Gyudon-Kette hat auch jeweils eigene Spezialitäten im Angebot, die über Rindfleisch auf Reis hinausgehen. Für mich gehören die Läden jedenfalls zu „meinem“ Japan dazu und sind ein großer Teil vom Alltag, den ich im Land erleben konnte. Und nicht vergessen, falls ihr zu Hause auch Mal versuchen möchtet, Gyudon zuzubereiten, haben wir natürlich auch ein Rezept hier im Blog. In diesem Sinne: 大盛り一丁!ômori icchô!Eine große Portion! Werde Unterstützer Du möchtest The Hangry Stories einmalig oder monatlich mit einem kleinen Betrag finanziell unterstützen und ein kleines Dankeschön bekommen? Dann werde Unterstützer auf Patreon! Blog abonnieren Wenn ihr „The Hangry Stories“ abonnieren wollt, dann könnt ihr euch hier für unsere Blog-Abo eintragen. 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Ich konnte jetzt nicht so einen geschmacklichen Unterschied feststellen. Aber viele Japaner meinen, dass der Gyudon je nach Laden anders schmeckt. Antworten Kommentar schreiben Antwort löschen Wie fandest du unser Rezept? Wie fandest du unser Rezept? Name, E-Mail und Website für nächstes Mal speichern.