Vor fast genau 12 Jahren, am 11. März 2011, bebte die Erde vor der Küste von Nord-Japan so stark wie bisher noch nie in den modernen Aufzeichnungen. Der folgende Tsunami hat ganze Küstenstriche verwüstet, einen Super-GAU im Atomkraftwerk Fukushima ausgelöst und unzähligen Menschen das Leben gekostet oder ihre Heimat zerstört. In den letzten 10 Jahren waren wir mehrfach in Tōhoku und im Sperrgebiet um Fukushima und haben Menschen und Region kennengelernt.
Inhaltsverzeichnis:
- Gedanken zur Dreifachkatastrophe
- Im Sperrgebiet von Fukushima
- Ishinomaki: Eine Stadt im Wandel
- Erster Besuch: Oktober 2013
- Zweiter Besuch: Januar 2017
- Ishinomori Manga-Museum
- Hashidori Common-Ship
- Hiyori-yama Schrein und Park
- Sendai: Die Präfekturhauptstadt von Miyagi
- Matsushima
- Das Retro-Museum
- Tempel in Matsushima
- Schlussbemerkungen
Gedanken zur Dreifachkatastrophe
Wie schreibt man über eine Katastrophe solchen Ausmaßes? Wer kann sich anmaßen, die Trauer, Wut und Ohnmacht der Menschen nachzuvollziehen, die am 11. März 2011 Freunde, Verwandte, Geliebte oder ihre Heimat durch das Beben, den Tsunami oder den Reaktorunfall in Fukushima verloren haben?
Als wir live im deutschen TV die Tsunami-Wellen über die Felder bei Sendai rollen sahen und die Atomkatastrophe um Fukushima ihren Anfang nahm, sahen wir vor allem unser Auslandsjahr davonschwimmen. 6 Monate vor dem Abflug nach Japan war es vor allem die unklare Lage in und um das Atomkraftwerk, die uns beschäftigte. Es dämmerte auch bei uns erst langsam, dass diese Gedanken im Kontext einer solchen Katastrophe vollkommen fehl am Platz waren, und heute schämen wir uns dafür.
15.899 Menschen verloren ihr Leben, 2.529 werden noch immer vermisst und 340.000 verloren ihr Zuhause. Der Wiederaufbau einiger Regionen dauert bis heute an und rund um das Kraftwerk Fukushima gibt es noch immer Sperrzonen.


Wir sind deshalb der Ansicht: Viel Fingerspitzengefühl ist notwendig, um sich dem Thema anständig anzunähern. Aber schlussendlich steht es uns nicht zu, den betroffenen Menschen zu viel zuzuschreiben. Wie es ihnen geht, was sie fühlen – all das kann man erleben und man kann auch darüber schreiben. Aber es steht uns nicht zu, das von außen zu bewerten. Wir selbst haben Menschen kennengelernt, die Angehörige verloren haben. Jeder und jede von ihnen geht damit anders um. Die einen wollen in Ruhe gelassen werden, die anderen kämpfen dafür, nicht vergessen zu werden.
Wir haben uns deshalb entschlossen, als Beobachter bei allem Respekt eine positive Grundstimmung zu erzeugen. Denn Tōhoku ist ein vielschichtiges und großes Gebiet Japans, das eine Reise allemal lohnt. Und als Reise- und Foodblog ist genau das auch unsere Kernkompetenz: Neugierde wecken auf tolle Landstriche.
Im Sperrgebiet von Fukushima
Um das gleich abzuhaken: Die Nuklearkatastrophe von Fukushima war schlimm. Und es ist nachhaltig schlimm. Wie schlimm genau, diese Beurteilung trauen wir uns nicht zu. Aber es ist auch klar: Der Atomunfall im Kernkraftwerk Fukushima 1 und Fukushima 2 überschreibt zumindest in den deutschen Medien historisch und medial einen signifikanten Teil der Dreifachkatastrophe: den Tsunami und das Erdbeben von Tōhoku. Deswegen rollen wir Fukushima hier auch nicht ausführlich neu auf.


Im Rahmen einer Monitor-Tour hatte Stephanie im Herbst 2019 die Gelegenheit, ins Sperrgebiet vom Atomkraftwerk Fukushima zu reisen. Dort und im weiteren Umkreis traf sie auf Menschen, die sich am Wiederaufbau beteiligten und versuchten, ihr Leben zurückzugewinnen.
Den vollständigen Bericht könnt ihr euch hier durchlesen. Wenn ihr euch für die Atomkatastrophe im Atomkraftwerk Fukushima interessiert, findet ihr hier mehr Infos.
Ishinomaki: Eine Stadt im Wandel
Einer der vom Tsunami stark betroffenen Städte Japans war Ishinomaki. Nicht weit vom populären Touristenort Matsushima, am südlichen Zipfel der zerklüfteten und wunderschönen Sanriku-Küste, liegt die Stadt mit heute etwa 140.000 Einwohnern. Über 3500 Menschen starben, mehr als 400 sind bis heute noch vermisst. Damit gehört die Gemeinde Ishinomaki zu den zahlenmäßig am stärksten Betroffenen überhaupt.
Erster Besuch: Oktober 2013
Als wir das erste Mal in Ishinomaki waren, hatten wir gleich die Gelegenheit, uns einem Austauschprojekt anzuschließen, bei dem Menschen aus der Stadt auf interessierte Ausländer treffen sollten. Die Anfahrt war beschwerlich: Die Senseki-Linie, welche die Präfekturhaupstadt Sendai mit Ishinomaki verbindet, war noch immer zu großen Teilen zerstört. Deshalb mussten wir den Bus nutzen. Ein wenig verdutzt waren wir dann doch, als wir in Ishinomaki ankamen, weil wir a) die einzigen Ausländer neben der Organisatorin waren und b) ein Kamerateam vor Ort war. Wir hatten aber dadurch sehr viel Gelegenheit, uns mit den Menschen vor Ort zu unterhalten: über die Stadt, wie es weitergehen soll, persönlichen Verlust und andere Themen. Und über den Blick nach vorne. Ein paar Impressionen von der Szenerie damals, mehr als 2 Jahre nach dem Tsunami, möchten wir euch hier mitgeben.








Bemerkenswert war vor allem der Bereich vor dem Hiyori-yama-Hügel. Hier standen früher Häuser und eine Schule. Zum Zeitpunkt des Besuches waren davon nur noch die Fundamente übrig. Je weiter man in die Stadt kam, desto öfter sah man halb kollabierte oder stark beschädigte Gebäude.
Zweiter Besuch: Januar 2017
In den knapp dreieinhalb Jahren seit unserem letzten Besuch hat sich viel getan. Die Aufräumarbeiten im Stadtkern wurden weitgehend abgeschlossen und ein großer Deich entlang des Kyu-Kitakami-Flusses war mitten in der Entstehung. Im Bereich vor dem Hiyori-yama-Hügel ist nicht viel passiert, weil hier keine Wohngebiete mehr entstehen dürfen. Trotzdem sind am Rande des Gebietes Wohnblöcke entstanden, die gleichzeitig auch als Tsunami-Fluchtpunkt dienen sollen. Wir empfanden die Straßen, die man durchs Nirgendwo gezogen hatte, als sehr beklemmend.
Vor allem die noch immer mahnend stehende Schule nimmt uns immer wieder mit: Viele Schüler:innen sind hier damals gestorben, weil falsche Entscheidungen bei der Evakuierung getroffen wurden. Diese Wunde ist bis heute offen und die Lehrkräfte, die dafür verantwortlich haben, haben sich teilweise das Leben genommen. Dieser tragische Tag am 11. März 2011 ist noch lange nicht verarbeitet.












Eigentlich wollten wir an diesem Tag auch auf die „Katzeninsel“ Tashiro-jima, die vom Hafen von Ishinomaki aus angefahren wird, aber überall in der Stadt gab es Info-Container und auch ein Infozentrum für den Wiederaufbau und die Verarbeitung der Katastrophe von 2011. Am Ende haben wir dort unsere Zeit verbracht, weil die Vergangenheit und Zukunft der Stadt doch spannender war, als ein paar Katzen am Strand.




Ishinomori Manga-Museum
Wenn man in Ishinomaki am Bahnhof ankommt, sieht man schon überall bunte Manga-Figuren herumstehen, die dem geneigten Freund japanischer Zeichenkunst vielleicht bekannt vorkommen: Es sind die Schöpfungen von Shotaro Ishinomori. Sein international wohl bekanntestes Werk, Cyborg 009, ist auch hierzulande bekannt und den maskierten Kamen Rider kennt in Japan wohl jedes Kind.


Im Jahr 2001, drei Jahre nach Ishinomoris Tod, eröffnete ihm zu Ehren auf einer Insel im Fluss Kyu-Kitakami ein futuristisch gestaltetes Museum, dass sich ganz den Werken Ishinomoris widmet. Auf zwei Stockwerken gibt es Ausstellungen, Videoräume und eine ganze Menge Retro-Charme zu bewundern. Auch das Museum wurde vom Tsunami schwer beschädigt, konnte aber im November 2012 nach umfassenden Reparaturen wiedereröffnet werden.
Name: Ishinomori Manga Museum
Adresse: 〒986-0823 Miyagi-ken Ishinomaki-shi Nakaze 2-7 [zu Google Maps]
Anfahrt: JR Ishinomaki Station [Google Maps]
Öffnungszeiten: 09:00 – 17:00 Uhr
Eintrittspreis: 840 Yen (Erwachsene)
Website: https://www.mangattan.jp/manga/en/ [Englisch]




Hashidori Common-Ship
Ein Projekt zur Wiederbelebung von Ishinomaki war „Hashidori Common“. Eine Art Pop-up-Restaurantstraße auf einem alten Parkplatz. Dort gab es die Möglichkeit, mit wenig finanziellen Mitteln in Wägen, Zelten oder anderen improvisierten Behausungen ein eigenes Restaurant zu eröffnen und öffentlichen Raum zu gemeinsam genutzten Raum zu machen. Was im April 2015 als temporäres Projekt für etwa 1,5 Jahre begann, erfreute sich schnell großer Beliebtheit und wurde sogar zu einer Touristenattraktion und deshalb auch mehrfach wiedereröffnet und verlängert. Seit November 2020 ist nun endgültig Schluss und Hashidori Common schließt seine Pforten. Als Zeichen der Vitalisierung einer Stadt möchten wir es hier dennoch noch einmal mit ein paar Bildern vorstellen und würdigen.




Hiyori-yama Schrein und Park
Der Hiyori-yama – ein kleiner Hügel im Stadtgebiet von Ishinomaki, ist ein Ort der Trauer und des Lebens gleichzeitig. Viele Anwohner flüchteten sich im Schneetreiben während des Tsunamis hierher. Der Hügel bietet nicht nur einen tollen Panorama-Ausblick auf die Stadt und das Meer, sondern auch Infotafeln und Vergleichsbilder mit Aufnahmen vor dem Tsunami. Nirgendwo in der Stadt kann man die Auswirkungen des Tsunamis so prägnant sehen wie hier.











Sendai: Die Präfekturhauptstadt von Miyagi
Die Präfekturhauptstadt von Miyagi war die am schwersten vom Erdbeben betroffene Großstadt Japans. Das Stadtzentrum selbst ist weit genug vom Meer weg, aber vor allem die am Meer gelegene Stadtteile Wakabayashi und Miyagino mit vielen Feldern und dem Flughafen Sendai, wurden teilweise vom Tsunami überspült. Als wir Sendai 2013 das erste Mal besuchten, konnten wir noch immer Schäden an der Steinmauer der ehemaligen Burg von Sendai sehen.
Sendai selbst ist eine lebendige Großstadt mit über einer Million Einwohnern. Die alte Burg ist jetzt ein öffentlicher Park, von dem Besucher eine tolle Sicht über die Stadt haben. Gässchen laden zum Erkunden ein und vor allem das Zuihoden-Mausoleum von Date Masamune, dass im Zweiten Weltkrieg abgebrannt ist und bis 1979 rekonstruiert wurde, ist einen Besuch wert.








Matsushima
Die nihon sankei sind die drei schönsten Aussichten Japans. Eine davon ist Matsushima, ein kleiner Ort in der Nähe von Sendai, der mit seinen unzähligen kiefernbewachsenen Inselchen und Tempeln zweifelsohne zu den spannendsten Touristenorten der Gegend gehört. Die Hauptattraktion ist auch die Natur. Die Buchten, Inselchen und das Meer ergeben eine Gegend, die es wirklich verdient hat, zu den drei schönsten Landschaften Japans gezählt zu werden.






Matsushima wurde ebenfalls schwer vom Tsunami getroffen und auch bei unserem Besuch 2013 zeigte sich dies vor allem in Verwerfungen der Uferbereiche, die sich abgesenkt haben und deshalb immer wieder unter Wasser stehen. Im lokalen Retro-Museum konnten wir auch eine kleine Ausstellung anschauen, die uns zeigte, wie die Situation vor Ort 2011 gewesen ist.




Das Retro-Museum
In diesem Kleinod der Museumslandschaft könnt ihr eintauchen in die Welt der Vergangenheit: Schallplatte, Walkman oder Idols aus der Showa-Zeit – hier gibt es eine kuriose Sammlung verschiedener Exponate, die euch auf kleinem Raum in eine andere Zeit versetzen. Uns hat es jedenfalls viel Spaß gemacht und wir können das Museum nur empfehlen. Achtung: Ab März 2021 hat das Museum neue Räumlichkeiten, die wir unten verlinkt haben.
Name: Matsushima Retro Museum
Adresse: 〒981-0213 Miyagi-ken Miyagi-gun Matsushima-cho Matsushima-Fugendo 48ー1 [zu Google Maps]
Anfahrt: JR Matsushima Kaigan Station [Google Maps]
Öffnungszeiten: 09:00 – 17:00 Uhr
Eintrittspreis: 400 Yen (Erwachsene)
Website: http://ww35.tiki.ne.jp/~akinomiya-m/ [nur Japanisch]




Tempel in Matsushima
Matsushima hat viele tolle Tempel, die sich lohnen und in unmittelbarer Laufnähe zur Küste befinden. Die bekanntesten sind der Zuiganji und der Entsuin. In Letzterem könnt ihr euch auch ein Gebetsarmband unter Anleitung selbst gestalten. Die Tempel von Matsushima sind der perfekte Ort, um abzuschalten und der geschäftigen Touristenwelt ein Stück weit zu entfliehen.




Schlussbemerkungen
Wie ihr seht, hat Tōhoku eine ganze Menge zu bieten. Von der Großstadt Sendai bis zu den Inseln von Matsushima und dem Manga-Museum in Ishinomaki gibt es eine ganze Menge zu entdecken. Und dabei haben wir die Gegend nur an der Oberfläche betrachtet.
Tōhoku ist vielfältig und spannend, und auch wenn die Wunden der Dreifachkatastrophe von 2011 noch lange nicht geheilt sind und das Atomkraftwerk in Fukushima noch immer radioaktives Wasser produziert und die Dekontamination der Gegend viel zu langsam voranschreitet, lohnt es sich auf jeden Fall die Gegend zu erkunden.
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2 Kommentare
Ich kann gar nicht glauben, dass das jetzt schon 10 Jahre her ist … ich hab das ja damals alles live miterlebt, weil ich zu der Zeit noch in Japan gelebt hab. Krass wie schnell die Zeit vergeht …
Oh, ihr wart in Ishinomaki? 🙂
Ich war dort 1 Jahr nach der Katastrophe und da ist einem wirklich das Herz stehengeblieben, weil auch 1 Jahr später noch alles total zerstört war und man sich leider sehr gut vorstellen konnte wie krass das gewesen sein muss. Das Manga-Museum hatte damals noch geschlossen so wie viele andere Dinge auch. Die waren noch mit dem Wiederaufbau beschäftigt, aber man konnte spenden und das hab ich direkt vor Ort auch getan.
Auf meinem Blog fliegen auch irgendwo noch Bilder von damals (2012) rum. 🙂
Ishinomaki lohnt sich auf jeden Fall. Das erste Mal war eher Zufall weil ich in Sendai war und die Aktion stattfand. Wir wurden ja auch von einem Kamerateam begleitet, ich hab damals glaube ich nur Unfug mit damals echt schlechtem Japanisch geredet („Magst du Kamen Rider? Äh, ja, wer nicht?“) und deswegen haben wir nie danach gesucht. Manche Dinge lässt man besser ruhe.